Nachruf: Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) trauert um seine ehemalige Direktorin Ingeborg Flagge
Nachruf
Ingeborg Flagge
(01.10.1942 in Oelde, 20.12.2024 in Bonn)
Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) trauert um seine ehemalige Direktorin.
Ingeborg Flagge starb im Alter von 82 Jahren durch Freitod, wie ihr langjähriger Freund Volkwin Marg (gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner) in seiner Todesanzeige meldete.
Die gelernte Archäologin und Ägyptologin war von 2000 bis 2005 Direktorin des (DAM) in Frankfurt gewesen, im Alter von 57 bis 63 Jahren. In dieser Zeit hat sie eine positive Trendumkehr in der Wahrnehmung des Museums geschafft, das in den 1990er Jahren in eine Krise geraten war, finanziell wie inhaltlich. Nun kamen wieder mehr Besucher in’s Haus, besonders das breitere Publikum fühlte sich angesprochen. Die Diskussionen wurden lebendiger, die Presse horchte wieder auf. Das Programm wurde vielschichtiger und die sehr vielen und rasch wechselnden Ausstellungen begeisterten nicht nur die Fachleute. Sie eröffnete wieder die Dauerausstellung zur Geschichte des Wohnens und Bauens, die von Heinrich Klotz initiiert und 1989 eröffnet wurde, als Klotz bereits in Karlsruhe an der Gründung des ZKM arbeitete. Sie wurde nur ein Jahr später von seinem Nachfolger Vittorio Magnago Lampugnani zugunsten vergrößerter Ausstellungsflächen verschlossen. Auch der Freundeskreis des DAM, der vom nächsten Direktor Wilfried Wang wieder ins Leben gerufen wurde, konnte von Flagge erweitert werden. Es konnten neue Sponsoren gewonnen werden und die Finanzierung seitens der Stadt konsolidierte sich. Sie schlug damit ein neues Kapitel auf, dessen positive Verlaufsrichtung sich seither nicht mehr geändert hat.
Ingeborg Flagge war ein neugieriger und keiner Konfrontation aus dem Weg gehender Mensch und hatte eine ambivalente Haltung zur Architektenschaft. Sie fühlte sich ihnen ursprünglich nicht zugehörig, hatte sie doch ein breites Studium absolviert, das sich über Englisch in Cambridge, Philosophie, Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Ägyptologie in Köln erstreckte. Dort promovierte sie im Alter von 27 Jahren in Archäologie. Dennoch begleitete sie diese besondere Spezies ihr ganzes Berufsleben aus der Nähe. Direkt nach dem Studium begann sie als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Bund Deutscher Architekten (BDA) in Bonn und wurde drei Jahre später mit nur 30 Jahren die streitbare Herausgeberin des BDA-Organs „Der Architekt“, dass sie 14 Jahre lang begleitete. Schließlich war sie fünf Jahre lang sogar die Bundesgeschäftsführerin des BDA. 1995 ging sie als Professorin für Baugeschichte nach Leipzig. 1998 schied sie beim BDA aus, Zitat eigene Website (www.ingeborgflagge.de): „Im Protest gegen bestimmte Tendenzen in der Architektenschaft.“
Auch ihr ehemaliger Ehemann Otto Flagge war Architekt und Stadtplaner und später Stadtbaurat in Kiel. So kannte Ingeborg Flagge praktisch jeden in der deutschen Architektenschaft, was ihr bei ihrem Start im DAM enorm half. Trotzdem provozierte sie ihre Architektenschaft liebend gerne, wusste sie doch genau, wie sie diese triggern konnte, zum Beispiel mit einer großen Einzel-Ausstellung über den größten Tabu-Künstler in der Szene: Friedensreich Hundertwasser. Bis heute dürfen dessen Bauten nicht von anständigen Architekten besucht werden, oder eher: bei dessen Betreten man sich besser nicht erwischen lässt. Sie fand ihn relevant für die Allgemeinheit. Ebenso wie den bisher unbekannten Geoffrey Bawa, dessen Bauten sie in Sri Lanka im Urlaub entdeckt hatte und den sie der staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Heute gilt er als legendärer Vater der tropischen Moderne. Sie hob 2004 zusammen mit der DekaBank und der Oberbürgermeisterin Petra Roth den Internationalen Hochhauspreis aus der Taufe, jüngst feierte dieser Preis seinen 20. Geburtstag und konnte ausgebaut und international etabliert werden.
„2005 verließ sie zwei Jahre vor Ablauf ihres verlängerten Vertrages das Haus in Frankfurt, weil für sie abzusehen war, dass es immer schwieriger würde, Sponsoren für interessante und aktuelle Themen der Architektur zu finden und dabei die eigene und die Unabhängigkeit des DAM zu wahren,“ so die eigene Darstellung ihres Rücktritts, den sie auch publizistisch begleitete:
Zurück in ihrer Wahlheimat Bonn verfasste sie Texte und Reportagen und organisierte Architekturreisen. Vor wenigen Monaten noch erschien ihre Würdigung des neuen Museums Reinhard Ernst in Wiesbaden, dessen Architekt Fumihiko Maki sie sehr schätzte.
7. Januar 2024
Peter Cachola Schmal,
im Namen des Teams des DAM